Bretter daraus, gib ihnen Bretter und sie
machen daraus eine Bude
Politische Partizipation Jugendlicher auf dem Lande
Projekt Jugendraum Großseelheim
von Lothar Wiegand
gekürzte und veränderte Fassung aus:
Münker u.a.: Anstöße III - Beispiele
kommunaler Jugend- und Jugendbildungsarbeit in Hessen,
Zierenberg 1998 (ISBN 3-9802441-3-8)
Fotos: Jugendförderung der Stadt Kirchhain
beim Ausschachten des alten Stallbodens..........
Eingangsthesen
Nicht zugeschaut, sondern mitgebaut
Ein Standort wird gefunden
Nur ein Jahr Bauzeit
Bestimmte Bedingungen müssen gegeben sein
Wirkungen
* Das Bedürfnis Jugendlicher nach politischer Partizipation orientiert sich eher an konkreten Projekten als an allgemeinpolitischen Forderungen.
* Während die Mobilisierung Jugendlicher für die Mitarbeit an gremienorientierter Partizipation sehr viel Aufwand erfordert, ist bei konkreten Anliegen kaum Motivierungsarbeit nötig,
* Projektarbeit fördert die Eigenverantwortung. Wenn Interessen Jugendlicher von der Politik aufgegriffen und ernstgenommen werden, funktioniert die Arbeit in Projekten besser und direkter als über Gremien.
* Voraussetzung ist aber, daß Jugendliche die Möglichkeit
bekommen, ihre Interessen zu artikulieren und dabei von der Jugendarbeit
unterstützt werden.
Nicht zugeschaut, sondern mitgebaut: Jugendliche beteiligen
sich von selbst
In der Stadt Kirchhain laufen seit 1993 vier Bauprojekte für Jugendräume,
wo Jugendliche in Eigenleistung und Eigenverantwortung ihre Jugendräume
in Zusammenarbeit mit der Jugendförderung, dem städtischen
Bauamt und örtlichen Handwerksfirmen ausbauen. Auf diese Weise entstehen
bis 1998 zwei weitere Jugendräume in Stadtteilen und ein Raum in der
Kernstadt.
Im Folgenden
sollen am Beispiel Großseelheim die Entwicklung und
der Ablauf eines Bauprojektes mit hohem Eigenleistunganteil dargestellt
und als konkretes Beteiligungsprojekt diskutiert werden.
Seit Anfang der 90er Jahre verfügten die knapp 300 Jugendlichen
im Alter zwischen 14 und 24 Jahren in Kirchhains größtem
Stadtteil nicht mehr über einen eigenen Raum. Nach einigen Provisorien
und unbefriedigenden Zwischenlösungen standen die Jugendlichen immer
wieder auf der Straße. Der Unmut unter den Jugendlichen des Dorfes,
die immer wieder gezwungen waren, sich an der Bushaltestelle zu treffen,
von wo sie auch alsbald von empfindlichen Anwohnern vertrieben wurden,
nahm stetig zu.
In Zusammenarbeit mit der Jugendförderung fanden die Jugendlichen
einen geeigneten Raum im ehemaligen Kuhstall eines leerstehenden Gehöftes.
Für die Bereitstellung von Geldern für ein Jugendraumprojekt
lag seitens der städtischen Gremien eine Zusage vor und die
Jugendförderung hatte direkt vom Bürgermeister den Auftrag, einen
geeigneten Raum zu finden. Die Politiker hatten erkannt, daß
der größte Stadtteil der Gemeinde dringend einen angemessenen
Jugendtreffpunkt braucht.
Der 85 qm große ehemalige Kuhstall kam in die Diskussion.
Vertreter des Jugendclubs hatten den Besitzer zur Zusage bewegt, die Räume
langfristig an die Stadt zu verpachten. Auch der Ortsbeirat machte seinen
Einfluß geltend.
Die Stadt stellte Mittel für die Finanzierung des Umbaus für
1997 in den Haushalt ein. Der Wert der Eigenleistungen wird zu Beginn der
Planungen mit 34.000 Mark angegeben, entwickelt sich aber im Verlauf der
Arbeiten erheblich nach oben weiter. Der tatsächliche Wert der Eigenleistungen
Jugendlicher kann nur grob geschätzt werden, liegt aber auf jeden
Fall um ein Vielfaches höher als in dar Kalkulation. Für Großseelheim
kann ein Eigenleistungsanteil in Höhe von "ideellen" 200.000 Mark
angenommen werden. (Anzahl der errechneten Personenarbeitsstunden x 20.00
DM)
Nach einer Bauzeit von etwa einem Jahr fallen bis zur Einweihung
der Räume im Frühsommer 1997 für die Stadt lediglich
Materialkosten und vergleichsweise geringe Handwerkerkosten an.
Der Jugendclub organisiert ab Erteilung der Baugenehmigung bis zur Einweihungsparty
alle Arbeiten selbst und führt sie mit seinen zahlreichen Mitgliedern
aus. Viele der Jugendlichen sind ("männliche") Handwerker der verschiedensten
Gewerke und zudem bei ortsansässigen Firmen beschäftigt. (Die
weiblichen Jugendlichen - etwa die Hälfte der Gesamtgruppe
- waren fast ausschließlich bei Versorgungs- und Gestaltungsarbeiten
engagiert.)
In der Planungsphase fanden viele Treffen vor Ort statt. Vertreter des
Bauamtes, der Jugendförderung und Jugendliche diskutierten die Möglichkeiten
und Grenzen des Ausbaus der Räume. In enger Absprache mit dem
Jugendclub, Handwerkern und dem Bauamt wird ein Plan entworfen, der nach
wiederholter Veränderung und Diskussion als Bauantrag eingereicht
wird. Die Vorstellungen und Wünsche der Jugendlichen sind dabei fast
vollständig berücksichtigt worden.
aus einem Stall wird ein Jugendraum - mit allem, was dazugehört
Der Zustand der Räume befindet sich erheblich unter
"Rohbauniveau". Zunächst muß der gesamte Betonfußboden
entfernt und die Räume 50 cm tief ausgeschachtet werden, was
nur
von Hand geschehen kann. Die Jugendlichen leihen sich ein
Dieselaggregat mit Kompressor und Preßlufthammer. An vier Wochenenden
entfernen sie den gesamten alten Fußboden, schachten aus, bringen
Frostschutz ein und gießen eine neue Betonbodenplatte. Hierzu steht
ihnen als Hilfsmittel lediglich eine Mischmaschine zur Verfügung.
Mit "manpower" leisten sie unentgeltlich, was sonst mit viel Geld
zu bezahlen wäre.
Danach beginnt der Innenausbau. Zunächst stellt eine ortsansässige
Baufirma ein Sandstrahlgerät zur Verfügung. Alle Wände und
Decken werden gereinigt und versiegelt. Eine Sandsteinwand wird neu verfugt,
die Stahlträger neu gestrichen. Auf Wunsch des Jugendclubs wird die
Aufteilung der Räume neu organisiert. Hierzu sind eine Wand und ein
Schornstein komplett abzureißen und die Decke an dieser Stelle durch
einen Stahlträger abzufangen. Die einzelnen Schritte werden mit dem
städtischen Architekten abgestimmt und gemeinsam mit einem Handwerker
ausgeführt. Ein Türdurchbruch wird zugemauert und zwei weitere
werden in die 80 cm starke Sandsteinwand gebrochen. Hierdurch entsteht
Raum für eine kleine Küche und den behindertengerechten Ausbau
der Sanitäranlagen. Diese Arbeiten hätten bei herkömmlicher
Ausführung, also der Ausschreibung durch das Bauamt und der Vergabe
der Aufträge an Firmen, zu erheblichen Mehrkosten geführt, die
auf diese Weise eingespart werden konnten. Durch die Eigenleistungen erhöhte
sich die Ausstattungsqualität, ohne Mehrkosten - außer für
verhältnismäßig geringe Materialkosten - zu verursachen.
Bis zur Einweihung ist das Echo in der Presse durchweg positiv.
Bestimmte Bedingungen müssen gegeben sein
Mit fast 2000 Einwohnern ist Großseelheim groß genug, um
genügend Potential an motivierten Jugendlichen zu haben. Gleichzeitig
verfügt das Dorf über genügend Handwerksbetriebe der Baubranche,
in denen wiederum Jugendliche des Jugendclubs arbeiten oder ausgebildet
werden.
Im nur 450 Einwohner zählenden Burgholz gestaltete es sich schwieriger,
professionelle, aber ehrenamtliche Hilfe zu mobilisieren, weil die Anzahl
der Betriebe kleiner ist. Dennoch ist es den Jugendlichen gelungen, ihren
Raum in Eigenleistung zu bauen, wenn auch die Bauzeit drei Jahre betrug.
Sicherlich ist Ähnliches in einer städtischen Umgebung schwieriger
umzusetzen. Was im Dorf ohnehin jeder weiß oder durch Mundpropaganda
bald erfahren wird, kann in der Stadt nicht so leicht und schnell übertragen
werden. War der Jugendclub erst zum Dorfgespräch geworden und die
Suche nach einem Raum öffentlich gemacht, kam die große Zustimmung
und auch die Zusagen der Betriebe für eine Unterstützung von
selbst. Die Unterstützung in der öffentlichen Dorfmeinung ging
einher mit der praktischen Unterstützung durch viele Handwerker und
zeigte sich auch bei der Einweihung, zu der viele Vereinsvertreter erschienen
und Geschenke überreichten. Der Jugendclub hatte sich vom "Ausgestoßenen"
zu einem anerkannten Mitglied der Dorfgemeinschaft entwickelt.
Bürgermeister Hesse (ganz rechts), Ortsvorsteher Hofmann (Bildmitte)
und Mitglieder
des Jugendklubs, allen voran Daniel Pinstock (2 v. rechts) eröffnen
den fertigen Jugendtreff
Auch die Sozialstruktur bei Jugendlichen auf dem Land begünstigt
Eigenbauprojekte. Viele Jugendliche werden in ortsansässigen Handwerksbetrieben
ausgebildet. Auch hier hilft die Überschaubarkeit der Beziehungen
bei der Mobilisierung von Unterstützung. Das Gespräch mit dem
Chef fällt leichter, wenn dieser selbst früher einmal im Jugendclub
gewesen ist.
Ein weiterer Abschnitt der Umbauarbeiten begann mit dem Innenausbau.
Nachdem Stromkabel, Heizungsleitungen und Estrich verlegt worden waren,
konnte die Isolierung und Verkleidung der Wände vorgenommen werden.
Offizielle Aufträge seitens des Bauamtes wurden lediglich für
die Erschließung für Strom, Wasser und Abwasser erteilt, wobei
die erforderlichen, kostenintensiven und bei manueller Ausführung
kräftezehrenden Erdarbeiten ebenfalls selbst geleistet wurden. Sogar
ein nächtlicher Wasserrohrbruch bremste den Elan nicht, auch wenn
bis frühmorgens geschuftet werden mußte, um die Wasserversorgung
einer ganzen Straße nicht für Tage zu blockieren.
Eine Mitternachtspizza wird verputzt, damit die Kraft noch bis in die
frühen Morgenstunden
reicht, um den Wasserrohrbruch zu beseitigen.........
Imagegewinn und Integration
Durch das Engagement der Jugendlichen für ihren Raum stieg ihr
Ansehen innerhalb der Dorfgemeinschaft erheblich. Zur Einweihungsfeier
erschienen auch Vertreter der Vereine und würdigten damit die geleistete
Arbeit.
Politisierung
Die Jugendlichen "politisierten" sich und leisteten Gremienarbeit. Themen
wie Bürgermeisterwahl und Stellenabbau in der Jugendarbeit waren plötzlich
interessant. Im Sozialausschuß vertraten die Jugendlichen ihren Standpunkt
vor den Kommunalpolitikern. Diese Haltung wurde auch im Stadtparlament
wahrgenommen und beachtet.
Solidarisierung
Einige Jugendliche aus Großseelheim arbeiteten sogar beim Bau
des Jugendraumes in der Kernstadt mit, was sicherlich zuvor undenkbar gewesen
wäre.
Stärkung der sozialen Kompetenz
Das Bauprojekt hat auch die soziale Kompetenz vieler Jugendlicher gefördert.
Das Zusammenleben mit den skeptischen Nachbarn verlief nicht problemlos.
Wiederholt mußten sich Jugendclubvorstand und Nachbarschaft zusammensetzen
und Konflikte lösen. Die Jugendlichen haben gelernt, die Verantwortung
für ihren Raum zu tragen.
bei der Eröffnungsfeier
Das Bauprojekt in Großseelheim fällt in eine Zeit, in der
auch die Einrichtung eines Jugendparlamentes in Kirchhain diskutiert wurde.
Daher ist auch die Frage nach dem Sinn dieser Beteiligungsform direkt in
Großseelheim besprochen worden. Vertreter des Kinder- und Jugendparlamentes
des Landkreises machten vor Ort Werbung für ihre Sache.
Dabei zeigte sich deutlich, daß die Jugendlichen in Großseelheim
nicht das geringste Interesse an einer parlamentarischen Form der Beteiligung
hatten. Im Gegenteil, die Ablehnung war einhellig.
Generell stellt sich daher die Frage, ob es sich bei Partizipationsprojekten von Jugendlichen nicht um "versteckte Erwachsenenprojekte" handelt, also folgende Kriterien abfragt.
- Werden das Projekt und die gewählte Partizipationsform von den Jugendlichen selbst gewollt?
- Entspricht das Vorhaben ihrer Interessenslage?
- Spüren sie einen echten Problemdruck und haben sie Veränderungswünsche?
- Sehen bzw. haben sie ernsthafte Realisierungschancen für ihre Ideen und Konzepte?
- Können sich prinzipiell alle Jugendlichen einbringen oder ist es eine Veranstaltung, die sich auf gebildete Mittelschichtsjugendliche beschränkt?
Es scheinen die konkreten Projekte geeigneter zu sein als repräsentative
Formen ohne konkreten Problemhintergrund.
Es ist klar, daß auch konkrete Beteiligungsprojekte nicht ohne
Hilfe auskommen. Der Jugendförderung kommt die Aufgabe zu, die beteiligten
Gruppen miteinander zu vernetzen. Jugendliche, Handwerker, Ortsbeiräte,
Nachbarn, Politiker und die Verwaltung müssen ständig eingebunden
und informiert werden. In kritischen Lagen muß die Jugendarbeit Präsenz
zeigen und Druck von den Jugendlichen nehmen können. Regelmäßige
Presseberichte prägen das "Image" eines Projektes ganz wesentlich.
Unterschiedliche Interessen zwischen Jugendlichen und Anwohnern müssen
moderiert und verhandelt werden. Regelmäßige Gespräche
zwischen Anwohnern und Jugendclub sind auch später unbedingt erforderlich.
auf dem Hof, bei der Eröffnungsfeier